Ausstellungen


Moderne Junge Kunst 2006




Ansprache Michael Becker, Leiter der wfk


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern, liebe Kinder,

die wfk ist in ihren Ursprüngen eine Kunstschule der Erwachsenenbildung. Sie setzt sich zum Ziel, Kreativitätspotentiale freizusetzen, dem alltäglichen, gewöhnlichen, eingefahrenen Denken neue Wege zu bahnen.

Das Kind ist im Vergleich zum Erwachsenen der Protagonist der Wahrnehmung schlechthin, ihm sind privilegiert spontane Erlebnisdimensionen zugänglich, die der Erwachsene nur noch schwer erreichen kann. Nicht umsonst kann man sagen, der Künstler sei ein methodisch kontrolliertes Kind. Das, was beim Kind naturwüchsig, nahezu notwendig abläuft, kann der Erwachsene nur noch durch viel Arbeit und Disziplin erreichen.

Die wfk setzt sich zum Ziel, die Spontaneität des Kindes zu bewahren und zu fördern. Wir stellen im Rahmen der Arbeitsbereiche des Unterrichts die dem Altersstand angemessenen Möglichkeiten und Reibungsflächen zur Verfügung, die die Aktivität des Kindes bzw. des Jugendlichen herausfordern und damit ausbilden.

Der Kunstunterricht der Juniorenklassen leistet auf eine spielerische Weise eine Einführung in die elementaren Gesetzmäßigkeiten des Gestaltens, des Umgangs mit Form und Farbe. Form und Farbe werden als wirkungsvolle Wesen wahrgenommen, die Empfindungswerte transportieren. Sie dienen dem Kind als elementare Ausdrucksmittel.

Diese außergewöhnliche Ausstellung von Werken unserer Juniorenklassen aus den letzten drei Jahren ist der Inbegriff ursprünglich kindlich-kreativer Spontaneität – gepaart mit einem authentischen, nahezu archetypischen Grundverständnis für bildnerisches Gestalten. Das Ursprüngliche resultiert aus den zum Glück noch unverstellten Schöpfungsquellen, die allerdings in dem erwachsenen Lebensstadium durch Mechanismen der Halbbildung, der Tendenz zur Verflachung, schließlich der rationalen Überformung verstellt werden und die lebendigen, gerade sinnlichen Momente ersticken, die die erfahrungsreiche Konstruktion von Welt, von Subjektivität, von unserem Selbst erst ermöglichen.

Ohne mit großartigen bewusstseinsfördernden kunst- und gestalttheoretischen Konstrukten in den Juniorenklassen aufwarten zu müssen, scheinen sich die Formerfindungen der Kinder ganz natürlich zu ergeben. Die Momente der Ungezwungenheit, Unvoreingenommenheit, Naivität, gepaart mit einer ungebändigten produktiven Schöpfungskraft, sind genau die, die im Erwachsenenleben methodisch kontrolliert reaktiviert und zum Einsatz gebracht werden müssen, um als Grundvoraussetzung für ein authentisches bildnerisches Arbeiten zur Verfügung zu stehen.

Aus diesem Grund sehen wir die Herangehensweise und die lebendige, frische und unverfälschte Ausdrucksart der Kinder als inspirierendes, lehrreiches Vorbild für die Erwachsenenausbildung, die unter dem Motto stehen sollte: Zurück zum Kindlichen, Verspielten, Unlogischen, und zwar mit den Mitteln der Rationalität, der Planung, der systematischen Vorgehensweise...

Die Offenheit für Neues ist für das Kindsein konstitutiv. Demgegenüber verlieren die einst kreativ erarbeiteten Strukturen des Erwachsenen ihren Charakter des Neuen. Und damit geht gleichzeitig die mühsam erarbeitete Welt wieder unter, da sie dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich ist, nicht mehr bewusst sein muss. Diese geschickt eingefädelte Entlastung des Gehirns führt dazu, dass die potentiell Neues bringende Umwelt der Aufmerksamkeit nicht mehr zugänglich ist.

Tatsächlich ist die Gewohnheit die eigentliche Herausforderung und Angriffsfläche des Künstlers. Der Künstler als das methodisch kontrollierte Kind attackiert das Gewohnte, stellt es bloß, ringt ihm unlogische, dadurch neuartige Aspekte ab, forciert bedingungslos die produktive Schöpfungskraft der Phantasie. Gesetze des Sehens werden hinterfragt, verändert, in eine ganz eigene Logik eingebunden.

Wir hoffen, dass diese Ausstellung unsere ausgewachsenen Schüler etwas aufrütteln und vor allem inspirieren wird. Je größer das Phlegma im ungezwungenen Umgang mit den bildnerischen Grundlagen ausfällt, um so größer ist die Arbeit, die investiert werden muss, um an die gestalterische und motivische Authentizität von Kinderkunst heranzukommen.

Im Unterricht mit Erwachsenen werde ich manchmal gefragt: „Stimmt das so?“ Das ist immer eine recht seltsame Frage. Und man gerät als Lehrer dabei grundsätzlich in die Bredouille. Die Angst, etwas Falsches zu machen, ist Gift für den produktiven Schöpfungsakt. Letztlich erweist sich das Bild dann als stimmig, wenn es einer Logik folgt, die einer eigenen Idee entsprungen ist.

Was heißt bei uns eigentlich „Malen lernen“? Ganz sicher nicht die Domestizierung der Kinder zum genauen Abfriemeln von Vorlagen. Uns geht es vielmehr um die Besinnung auf die schöpferischen Werte und Potentiale. Kinder sind stolz, Eigenes geschaffen zu haben. Ungern lassen sie sich reinreden, nehmen aber Empfehlungen dankbar auf. Die Betreuung orientiert sich an den Konzepten, die sie selbst entwickeln, diese begründen und hinter ihnen stehen können.

Die Erwachsenen fragen hingegen häufig: „Wie, was für ein Konzept? Ich habe keins! Sie müssen mir schon sagen, was ich machen soll!“ Eine wichtige Aufgabe unsererseits besteht darin, die Angst vor dem immer drohenden Scheitern zu nehmen.

Die therapeutische Funktion der Ausbildung ist damit offensichtlich: Beiläufiges Ziel ist die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Fähigkeit, produktive Mühe in Kauf zu nehmen, ja sie sogar freiwillig aufzuwenden, um sinnliche und geistige Bedürfnisse in vollen Zügen auszukosten und umzusetzen. Allerdings scheint der Alltag des Kindes heute derart überfrachtet zu sein, dass Leistungs- und Kreativitätseinbußen vorprogrammiert sind.

Gerade der Umgang mit sinnlich-geistigem Material ist eine der besten Möglichkeiten, anschauliches Denken zu betreiben. Die Bewältigung der Fläche, die Erfindung der Bildkomposition, ungewöhnlicher Formen der verwendeten Elemente, der Farbinteraktion etc. sind Anforderungen, die das Denken in sinnlichen, also anschaulichen Kategorien motivieren. Der Vorzug dieser anschaulichen Denkart ist, dass Erfahrungen, Erkenntnisse, Hoffnungen, Wünsche, Ängste etc. lebensnahe erlebt und verarbeitet werden. Die Welt um uns herum und in uns wird dadurch lebendiger gehalten, das Abdriften in pauschalisierendes Denken und Fühlen wird verhindert. Die geistige Lebendigkeit wird auf den Alltag übertragen, diesem wird grundsätzlich flexibler und offener begegnet.

 

Liebe Kinder,

vielen Dank für Euer Engagement und Eure Begeisterung. Mögen die Erwachsenen von Euch lernen. Das ist der eigentliche Zweck dieser Ausstellung. Diese sei hiermit eröffnet.

Ich danke allen freundlichen Mithelfern, die bei der Arrangierung der Ausstellung tätig zur Seite standen. Herzlichen Dank an Frau Woestmann, die die Rahmung der Werke und die Hängung derselben koodinierte.

Als wichtigen offiziellen Nachtrag: Dieses wird die letzte Ausstellung in diesen Räumen sein. Die wfk zieht Anfang des nächsten Jahres um, und zwar in die Friedrichstr. 7, direkt am Dern’schen Gelände, Nähe Wilhelmstr. Wir möchten Sie bitten, diese Information weiterzutragen. In den neu renovierten Räumen werden wir unser anspruchsvolles Programm in gewohnter Weise fortsetzen.

Jetzt bitte ich einmal alle Kinder und Jugendlichen, die sich an dieser Ausstellung beteiligen, nach vorne, damit Sie, verehrtes Publikum, wissen, mit wem Sie es zu tun haben.

Vielen Dank!

Wiesbaden, November 2006

Bestellung des Kataloges "Moderne Junge Kunst" 2006
unter: info@w-f-k.de

 

 

 

 

 

 

 

Wolfgang Becker